Ein Bericht von Sabine Perthold
Es war ein feuchtkalter November-Abend. Doch die Ausstattung des Oskar-Saales am Concordiaplatz ließ ein angenehmes Sommergefühl entstehen: Warmes Licht, die Referentinnen räkeln sich in knallfarbigen Liegestühlen. Erstes Trugbild?
Das österreichische Filmschaffen ist seit einiger Zeit sowohl national als auch international sehr erfolgreich. Zeit, um hinter die Kulissen zu blicken. Filme sind das Produkt eines arbeitsteiligen, intensiven Prozesses, an dem sehr viele Menschen beteiligt sind. Dennoch ist es eine ärgerliche Realität, dass weibliche Führungskräfte in der Informations- und Kommunikationsbranche noch immer krass unterrepräsentiert sind.
Die Leiterin der Kunstsektion des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur, Andrea Ecker skizzierte in ihrer Eröffnungsrede die schwierige Situation weiblicher Filmschaffender, die im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen weit größere Hürden nehmen müssen, um beruflich zu reüssieren. Sie bezeichnete die Medien und Kommunikationspolitik als „Bühne der Eitelkeiten, die die Männer nicht so schnell hergeben wollen“.
Analysiert man Filme als „Spiegel der Gesellschaft“, so kommen mitunter Wahrheiten über Frauenbilder zutage, über die die Gesellschaft argumentativ längst hinweg zu sein scheint. „Gleichbehandlung“, schloss die Sektionschefin, „ist uns in der Theorie eine Selbstverständlichkeit, im täglichen Leben aber Fiktion.“
Aufbauend auf dieser Tatsache wählten die beiden Organisatorinnen Brigitte Mayr und Sabine Perthold das Motto „Trugbilder“ für die Eröffnungsveranstaltung von FRAUEN ARBEIT FILM. Als Trugbilder oder Schimäre versteht man eine nicht wirkliche, imaginäre Erscheinung. Welche Frauen-Bilder haben wir eigentlich alle im Kopf? Sind die im Film-, Medien- und Kulturbereich transportierten Bilder nicht nur Trugbilder und wodurch entfachen sie unseren Ärger?
Die für den Eröffnungsabend eingeladenen ExpertInnen und KünstlerInnen waren: die Schriftstellerin Kathrin Röggla, die ORF-Ressortleiterin Brigitte Handlos, die Mediensoziologin Eva Flicker und die Filmemacherin Mara Mattuschka.
Ihr Auftrag lautete, eine ca. 10-minütige „künstlerische Intervention“ für FRAUEN ARBEIT FILM zu gestalten, die ihre Gedanken und Assoziationen zu verschiedenen, durch die Medienwelt geisternden, Trugbilder zeigt.
Kathrin Röggla hielt ein Lifestyle-Magazin gut sichtbar in die Höhe. Auf dem Cover war das deutsche Topmodel Heidi Klum zu sehen. Das Testimonial für unterschiedlichste Marken ist vierfache Mutter. In ihrer TV-Show Germany's Next Topmodel stilisiert sich die Model-Macherin selbst zur „Mutter aller Models“.
Röggla schlug das Hochglanz-Magazin auf und begann darin zu lesen. Welche Überraschung: Es folgte ein sprachlich dichter und fordernder Text, der das Trugbild der freien Wahl zwischen klassischer Mutterrolle und Karriere entlarvt, weil „es diese Wahlmöglichkeit in der Realität nicht gibt“. Die Schriftstellerin hatte das Magazin insofern „präpariert“, als sie ihren eigenen Text zuvor eingelegt hatte.
Dann kam Kathrin Röggla auf die Trugbilder im Kulturbetrieb zu sprechen: „In der Literatur gibt es ebenso viele Frauen wie Männer. Aber auf den Podien und in den Anthologien finden sich immer mehr Männer als Frauen. Am Theater erhalten Regisseurinnen – sogar bekannte – weniger Geld als ihre männlichen Kollegen. Armut ist in Österreich weiblich und alt.
Der Kunstbereich ist in dieser Hinsicht viel konservativer als vergleichbare akademische Bereiche. Künstlerinnen müssen sich entscheiden: Entweder traditionelle Mutterrolle und die Männer machen in der Zwischenzeit Karriere; oder Doppelbelastung. Die Suggestion, dass Frauen in dieser Frage frei wählen können, ist ein neoliberales Trugbild.“
Die ORF-Ressortleiterin Brigitte Handlos ließ ein Personal Tool rundum gehen, das es in sich hat: Der kleinste Camcorder der Welt heißt FLIP und ist kinderleicht zu bedienen. Er hat einen roten On/Off-Knopf, ist immer einsatzbereit und liefert High-Definition-Bilder. Für Brigitte Handlos ein Sinnbild für die zahlreichen hinter der Kamera arbeitenden Frauen: „Easy to handle ist der Arbeitsstil vieler Frauen im Medien- und Filmgeschäft. Sie machen ihren Job hervorragend, sind gut organisiert, unzickig und leider auch schlecht bezahlt. Sie mucken weniger auf als die Männer, sind weniger laut, fordern weniger ein und verlassen sich immer noch darauf, dass ihre kompetente kreative Arbeit zählt.“
Und wie sieht es mit der Präsenz von Frauen auf dem Bildschirm aus? Die Chronik-Chefin der Fernsehinformation beantwortet diese Frage mit Beispielen aus ihrem eigenen Arbeitsbereich: „Die Runden Tische der ZIB werden mit 5 Klubobleuten besetzt – 4 davon sind Männer. Da bilden wir den Zustand der Politik ab. Anders besetzt ist es in den Formaten 'Club 2', 'Im Zentrum' und 'Kreuz und Quer'. Hier ist der ORF freier in seiner Einladungspolitik und es klappt einmal schlechter, dann wieder besser.“
Dennoch sind die Interviewpartner immer noch vorwiegend Männer. Die Vorherrschaft der männlichen Experten birgt die Gefahr, dass das öffentliche Bewusstsein unwillkürlich die Gleichung „Fachwissen = männlich“ anstellt.
Handlos führte aus, wie schwierig es mitunter wäre, weibliche Teilnehmerinnen für TV-Diskussionen zu gewinnen. Zu hoch sei der Anspruch an sich selbst, zu selbstkritisch würden Frauen ihr fachliches Know-how, aber auch ihr Äußeres sehen. „Die am Fernsehbildschirm sichtbaren Frauen müssen schön, schlank und jung sein. Wer hat uns das eingeredet?“
Deshalb plädierte Handlos für ein selbstbewussteres Auftreten der Frauen in den Medien. „Wenn die Männer ebenfalls diesen Kriterien entsprechen müssten, wäre so manche Diskussionsrunde anders besetzt.“
Als Trugbild stellt sich heraus, dass Frauen im ORF optisch und akustisch präsenter sind denn je. „Denn die Entscheidungen machen sich die ORF-Herren nach wie vor unter sich aus.“ Tatsächlich sieht das neue ORF-Gesetz 45% Frauenanteil vor. Ausnahme: Direktoren und Gremien.
Filmanalyse als Gesellschaftsanalyse, Filme als Elemente der Repräsentationsordnung einer Gesellschaft – in diesem Forschungsfeld bewegt sich die Universitätsprofessorin Eva Flicker.
„Als Wissenschafterin lebe ich in einer klassischen Männerbastion. Böse Zungen behaupten, die gibt es nur noch im Katholizismus oder beim Militär. Aber die Statistik bestätigt: Im Durchschnitt schließen mehr Frauen als Männer ihre Studien erfolgreich ab, aber nur mehr ein Drittel der Assistenzstellen ist mit Frauen besetzt; bei den Professuren sind es gar nur mehr 16 Prozent.“ Demzufolge sind auch Wissenschafterinnen in Filmen nach wie vor eine Seltenheit. Der „Professor“ ist im Spielfilm meist ein Mann.
Die Mediensoziologin Flicker untersucht das Rollenbild der Wissenschafterin im Spielfilm. Filme konstruieren oder dekonstruieren Wirklichkeit. So liefert beispielsweise C.S.I. via TV das Berufsbild der Forensikerin nach Hause und das Kino jenes der Archäologin Angelina Jolie als Lara Croft. Wie sehr mitunter klassische Stereotypen bemüht werden, führte Flicker vor. Die drei von ihr ausgewählten Filmbeispiele Spellbound (1945), James Bond – Moonraker (1979), Posession (2002) zeigten, welches einseitige Frauenbild das Mainstream-Kino von Wissenschafterinnen parat hält: „Alte Jungfer“, „Mannfrau“, „naive Expertin" oder „einsame Heldin".
„Ich habe mehr als 100 Filme aus über acht Jahrzehnten gesichtet, um dem Rollenbild der Wissenschafterin im Film nachzuspüren. Auffälligstes Trugbild, das sich herauskristallisiert: Klugsein oder weiblich?"
Die Filmemacherin und Performancekünstlerin Mara Mattuschka näherte sich dem Thema des Trugbilds zum Abschluss des Abends von einer anderen, positiveren Seite. „Ich trage Trugbilder in mir selber, sie dienen mir als Motor, der mich vorantreibt.“ Deshalb verteufelte sie Trugbilder nicht generell. Eine Idealvorstellung der vielseitigen Künstlerin wäre eine virtuelle Welt, in der man den Körper zwar sehen kann, er aber aus Luft besteht, so dass unsere Gedanken visualisiert werden können.
In all ihren Filmen, von den 1980er Jahren bis heute, setzt Mattuschka ihren eigenen Körper als Handlungsträger für Verzerrung, Umdeutung, Schock und (komische) Groteske ein – als fortwährende Herausforderung an gesellschaftliche und industrielle (Geschlechter-)Normen. „Bei etwaigen Fehlern, die aus unseren eigenen Schwächen resultieren, können wir sofort nachjustieren, modifizieren und transformieren. Diese Vorstellung von einer nicht materiellen Welt, die keinen Widerstand (Alltag, Job, Familie) leistet, in der der Körper nicht als Ballast (durch Krankheiten) als sinkende Aktie erscheint, ist verlockend.“ Provokant arbeitete Mattuschka Unterschiede zwischen Mann und Frau heraus, betonte die teamorientierte „Baustellenfähigkeit“ von Männern im Gegensatz zu der auf intensiver Reflexion beruhenden Diskussionsarbeit von Frauen.
Resümee: Die interdisziplinäre Zusammensetzung des Panels machte verschiedene Blickwinkel auf das Motto „Trugbilder“ möglich, wodurch ein bekanntes Thema neu und pointiert aufgerollt wurde.
nach oben
zurück zu "KANN" - Veranstaltungsübersicht