„Der Film ist ein weit auf das Leben geöffnetes Auge,
ein Auge, das mächtiger ist als das unsere,
und das sieht, was wir nicht sehen.“ Germaine Dulac, 1925
Bericht von Sabine Perthold
„Heut is Rauhnacht.
Wer hat´s aufbracht?
Drei alte Weiber und a alter Geiger und a alter Hennafuaß,
den ma drei Tag siaden muß.“
Just am Sonntag, dem 5. Dezember, dem „Krampustag“, lud die Reihe FRAUEN ARBEIT FILM in das Theater Drachengasse, seit jeher ein Schauplatz für neue Stücke und kontroversielle Themen, die vor allem die Anliegen der Frauen verhandeln.
Allerdings hat der Krampus eine in Vergessenheit geratene Begleiterin, die Habergeiß. Diese nahmen sich die beiden Organisatorinnen Brigitte Mayr und Sabine Perthold als „Aufhänger“ für die Zusammenstellung des Panels, das aus sechs Expertinnen aus den verschiedensten Arbeitsbereichen der Film- und Kommunikationsbranche bestand: die Drehbuchautorin Eva Spreitzhofer, die Schauspielerin Cornelia Köndgen, die Filmproduzentin Gabriele Kranzelbinder, die Videokünstlerin Petra Zöpnek, die Theaterleiterin Eva Langheiter und die PR-Agentur-Chefin Anita Prammer.
Was sie miteinander verbindet? Zunächst der ausgewählte Veranstaltungsort. Vor vielen Jahren begannen hier zwei Schauspielerinnen zu arbeiten: Eva Spreitzhofer und Cornelia Köndgen. Heute schreibt Eva Spreitzhofer Drehbücher (u.a. erfand und konzipierte sie die TV-Krimiserie „Schnell ermittelt“; auch Serien-Hauptdarstellerin Ursula Straus hat sich ihre ersten Bühnenerfahrungen in der Drachengasse gesammelt). Cornelia Köndgen ist heute auf der Bühne ebenso präsent wie im Kino, zum Beispiel in Michael Hanekes preisgekrönter Literaturverfilmung nach dem Roman von Elfriede Jelinek, „Die Klavierspielerin“.
Die Videokünstlerin Petra Zöpnek lieferte mit ihren experimentellen Bildprojektionen die atmosphärische Kulisse für so manchen spannenden Theaterabend in der Drachengasse. Jetzt verpasst sie Spiel- und Dokumentarfilmen den letzten Schnitt. Eva Langheiter, die seit 21 Jahren das Theater leitet, prägte in ihrem Statement für solche Erfolgsgeschichten das Prädikat „Altdrachen“.
Die von Emmy Werner gegründet Mittelbühne entstand 1981, im Sog der neuen Frauenbewegung, als es darum ging, Frauenräume zu schaffen. Auch Spielplan und Teamzusammensetzung zeigen, dass hier ein „starker Frauensapekt“ gepflegt wird. Die Bandbreite der gezeigten Stücke reicht von Marguerite Duras über Ingeborg Bachmann, Friederike Roth, Christa Wolf, Marlene Streeruwitz u.v.a.
Eva Langheiter erinnert sich in ihrer Begrüßungsrede an einige Inszenierungen, in denen einige unserer geladenen Referentinnen auf der Bühne standen: In der Revue „Lauter Emmies“, gezeigt in der Saison 1983/84, spielen Co-Direktorin Johanna Franz und Cornelia Köndgen. Von der Vorreiterin des österreichischen Films, Käthe Kratz, wurde das Drama „Blut“ 1985 uraufgeführt. Regie führte Emmy Werner, gespielt hat u.a. Cornelia Köndgen. In „Liebe, Lust und Lüge“, einem Stück aus dem 17. Jahrhundert, stand Eva Spreitzhofer auf der Bühne. - Für Karrieren, die solcherart in der Drachengasse begannen, prägt Co-Direktorin Langheiter den Begriff der „Altdrachen“.
Heute allerdings hat sich das Bild gewandelt: Autorinnen beschäftigen sich nicht primär mit Frauenfragen, sondern mit allgemeinen Themen wie Globalisierung, Kapitalismuskritik etc. „Problematisch finde ich“, so Eva Langheiter, „dass es selbst in den Nachwuchswettbewerben für junge Schauspielerinnen kaum mehr Rollen gibt.“ Nur in den Low-Budget-Projekten sind nach wie vor viele Frauen beteiligt.
Ob das von einem neues Selbstverständnis der Frauen zeugt oder einfach nur die Flucht nach vorne ist in Zeiten, in denen die Einkommensschere zw. Frauen und Männern mehr denn je aus einander klafft?
Auch strukturelle Probleme zeigt Langheiter in ihrem Eingangs-Statement auf: „In letzter Zeit gingen in Wien alle Neuvergaben von Häusern an Männer: Nehmen wir das Burgtheater, Schauspielhaus oder Brut. Es ist immer noch eine Frage der Seilschaften, der Netzwerke.“
Danach enterte Anita Prammer die Bühne des Theatersaals und lieferte eine fulminate Performance über die verschiedenen Erscheinungsformen der Habergeiß, die mal als Geiß, mal als Bock oder auch als Vogel herumgeistert. „Nach dieser Grenzgängerin zwischen festgefahrenen Strukturen haben wir ein Frauennetzwerk mit dem Namen Habergeiß ins Leben gerufen“, erzählt die erfahrene Netzwerkerin (Filmmuseums-Managerin, NÖ-Festival und Inhaberin der Veranstaltungs- und PR-Agentur „conten&event“), die sowohl Kinofilme als auch Theaterinszenierungen (Reichenau) promotet. „Wir Habergeißen treffen uns einmal pro Jahr, tauschen Informationen aus und legen eventuell Synergien zusammen, um gemeinsam an einem Strang ziehen zu können.“ Diese Vernetzungsstrategie der Habergeiß-Community ermöglicht es, umtriebige Pläne zu schmieden und Projekte zu initiieren.
Ihre erste Rolle in der Drachengasse spielte sie kurz nach der Geburt ihres Sohnes Moritz 1981. „Während wir probten, lag das Baby im Nebenraum, bei eingeschaltetem Babyphon.“
14 Jahre später – zu einem Zeitpunkt, als ihre besten Freundinnen wegstarben und die Rollenangebote für eine Frau „in einem gewissen Alter“ immer spärlicher wurden – wollte Cornelia Köndgen nicht mehr „tatenlos auf ihre Alterskarriere“ warten und entschloss sich 1995 zu einer Veränderung. Da sie aus einer Arztfamilie stammt, wollte sie zunächst Medizin studieren, wurde dann aber von ihrer Schwester beraten, doch besser eine Psychotherapie-Ausbildung zu absolvieren. Die Vorteile liegen auf der Hand: „In Zeiten der Arbeitslosigkeit konnte ich so Seminare anbieten und Geld lukrieren.“
Wir zeigten in der Drachengasse eine Filmsequenz aus der Doku „Dirty Days“, die bei der Diagonale 2010 zu sehen war. Thema des Road- Movies von Helmut Berger ist eine berufsimmanente Notwendigkeit des Schauspielens: das durch-die Lande-Tingeln. Zu sehen ist eine siebenköpfige Truppe, die während eines Monats 9.000 Kilometer auf immer den gleichen Landstraßen abspult, in billigen Absteigen nächtigt und mal vor mehr, mal weniger interessiertem Publikum auftritt. Als weiteres Handikap ist das chaotische Management zu nennen, das zu guter Letzt auch noch mit der Kassa durchbrennt. Ein bestechend ehrliches Porträt prekär beschäftigter Kulturschaffender, die sprichwörtlich um ihr Überleben spielen. Cornelia Köndgens Resumee lautet: „Mit Mitte 50 tingle ich durch heruntergekommene Etablissements und kriege kein Geld dafür.“
Dennoch ist sie, die sich 10 Jahre lang im Verband österreichischer Filmschauspieler für eine Verbesserung der sozialen Lage von Künstlerinnen engagiert hat, weder „frustriert oder deprimiert, da ich viele gute Sachen gemacht habe. Allerdings war mein Terminkalender nie so voll wie der von Angelina Jolie.“
Wie erklärt sich die erfolgreiche Darstellerin in zahlreichen Kino- und Fernsehfilmen das dürftiges Rollenangebot für ältere Darstellerinnen: „Das hat mit der 'erlaubten' Verkörperung von Sexualität zu tun. Es gibt meines Wissens genau drei Schauspielerinnen, denen man das Tabu Sexualität im Alter gestattet; das sind: Senta Berger, Christiane Hörbiger und Christine Neubauer.“
Last but not least erzählte eine der rar gesäten Produzentinnen des Landes, Gabriele Kranzelbinder, dass sie sich in kein Korsett von Genres und Formaten pressen lassen will. Seit 2006 ist die ausgebildete Juristin die Präsidentin der AAFP (= Association of Austrian Filmproducers / Verband österreichischer Filmproduzenten).
Zurzeit schneidet Petra Zöpnek mit Elfi Mikesch deren neuen Film „Judenburg“. Seit 1996 ist sie im Bereich Schnitt, Animation und Bühnenprojektion tätig. Als Beispiele für ihre letzten Arbeiten seien genannt: die Musik für Sabine Derflingers Spielfilm „Tag und Nacht“ (gemeinsam mit Gilbert Handler), Derflingers Dokumentation über den Alltag von Brustkrebspatientinnen „Eine von 8“ hat sie geschnitten und bei „Vollgas“ (ebenfalls von Sabine Derflinger über Stress, Suff und Sex in der Tourismusbranche) hat sie 2001 den Effektschnitt gemacht.
Daraus läßt sich zweierlei ablesen: 1.) Zöpnek arbeitet nach eigener Aussage gerne mit Frauen, „weil da Manches unkomplizierter abläuft“. 2.) Angesprochen auf ihre Vielseitigkeit, die natürlich extreme Flexibilität und Anpassungsfähigkeit verlangt, antwortet sie: „Ich kann mir die Auftragslage nicht aussuchen. Beim Film bin ich wenigstens versichert, aber beim Theater gibt´s nicht mal eine Interessensvertretung.“
Mit den Bühnenprojektionen ist das überhaupt so eine Sache. Zöpnek hat viele Videoarbeiten fürs deutschsprachige Theater in Wien, Berlin und Nürnberg gemacht, aber „Videoscreens im Theater sind einer Modeströmung unterworfen; mal geht’s gar nicht ohne, mal heißts: ein politisches Stück – da brauchen wir keine Video.“
Als Filmbeispiel hat sie „Mädchen in Rot und Gold – Remix“ aus dem Jahr 2007 mitgebracht, in dem sie sich mit einer eigenen Methode der Re-Formulierung von Lizenzfilmen beschäftigt, die im DDR-Fernsehnen zwischen 1963 und 1979 gezeigt worden waren.
2001 war Gabriele Kranzelbinder Mitbegründerin der Produktionsfirma „Amour Fou“, wo sie zahlreiche Spiel-, Dokumentar- und Experimentalfilme (u.a. „Kurz davor ist es passiert“ von Anja Salomonowitz) produzierte. Aufgrund unterschiedlicher Auffassungen trennte sich Gabriele Kranzelbinder von „Amour Fou“; seit 2007 ist sie Alleineigentümerin der KGP Kranzelbinder Gabriele Production. Diesen Schritt bereut sie bis heute nicht, im Gegenteil: „Es fühlt sich gut an, da ich nur für mich allein verantwortlich bin und mir nun lange Diskussionen sparen kann.“ Die gelernte Juristin ist seit 2006 Präsidentin der AAFP (Association of Austrian Filmproducers = Verband österreichischer Filmproduzenten)
Sie berichtet über die Philosophie dieses Verbandes, dessen Mitglieder heute hauptsächlich kleinere sowie auf künstlerisches Filmschaffen ausgerichtete Filmgesellschaften sind. Das war nicht immer so: „Die meisten großen Produktionsgesellschaften haben sich im April 2006 abgespalten und im neuen Verband Film Austria zusammengeschlossen. Gründe hierfür lagen in Meinungsverschiedenheiten über die Anforderungen an die staatliche Filmförderung, die nach Ansicht der nun in der Film Austria vertretenen Gesellschaften hauptsächlich Filme, die dem aktuellen Publikumsgeschmack treffen, subventionieren soll. Die AAFP hingegen setzt sich für eine ausgewogene Verteilung der Fördergelder ein, um kreatives und junges Filmschaffen zu fördern.“
Analog dazu lässt sich die Produktionsfirma KGP nicht in das Korsett von Genres und Formaten zwängen, sondern konzentriert sich auf die Produktion des qualitativ hochwertigen, europäischen AutorInnenfilms.
Kranzelbinders neuestes Projekt ist eine Romanverfilmung und kreist um das Phänomen des „Alters im Film“. Die Produzentin hat die Option auf den Bestseller „Nacktbadstrand“ von Elfriede Vavrik erworben. In dem Buch beschreibt eine Achtzigjährige ihre sexuellen Abenteuer ohne jede Hemmung. „Daraus möchte ich gerne einen Film machen. Offenbar ist weibliches Begehren im fortgeschrittenen Alter noch immer ein Tabubruch.“ Die FAZ übertitele ihre Online-Buchrezension mit „Österreichs greises Luder“.
Zum Reiz-Thema „Frauen in den Aufsichtsrat“ hat die Produzentin folgendes zu berichten: „Ich sitzte gemeinsam mit Eva Spreitzhofer im ÖFI-Aufsichtsrat. Und ausgerechnet wir zwei Frauen haben KEIN Stimmrecht!“
Die Schauspielerin und Drehbuchautorin Eva Spreitzhofer schreibt auftragsmäßig für TV, weil sie viele Aufträge hat („könnte 5 mal pro Woche ein Buch für Christine Neubauer in der Hauptrolle schreiben“) und 2 Kinder ernähren muss. Auf die Frage, was denn das für Geschichten seien, die so reißenden Absatz bei den Sendeverantwortlichen finden, gesteht sie ein, dass es „kaum eine Geschichte gibt, in der nicht eine Frau einen Mann abkriegen will.“
Spreitzhofer erfand die ORF-Krimiserie „Schnell ermittelt“ (MR-Film) mit Ursula Strauss in der Hauptrolle, entwickelte das Konzept und verfasste die Drehbücher für die ersten vier Folgen. Die erfahrene Drehbuchautorin geht davon aus, dass „'Schnell ermittelt' die letzte rein österreichische Serie war, da die Produktionskosten heutzutage schlichtweg viel zu teuer sind. In Zukunft wird es nur mehr Co-Produktionen geben.“
Die gebürtige Grazerin geht zunächst in ihrem Statement von denselben Schwierigkeiten für Frauen und Männer in der Filmbranche aus, erkennt aber die geschlechtsspezifischen Unterschiede. Als einziger Ausweg aus dem Dilemma erscheint ihr die Strategie, „ein Bein fest im deutschen Markt verankert zu haben. Allerdings wurden Filmfrauen wie Sabine Derflinger und Barbara Albert aufgrund der Geldvergabe und der Auftragslage ins künstlerische Exil vertrieben.“
Welche „feministische“ Strategie sie beim Schreiben für den Film, verfolgt, verrät sie in ihrem Statement: „Ich schreibe auch kleinere Rollen immer für Frauen – also z. B. eine Ärztin od. eine Rechtsanwältin, um eine andere Wahrnehmung zu forcieren und den Schauspielerinnen die Chance zu geben, gesehen zu werden.“
Spreitzhofer ist Vorstandsmitglied im Dachverband der Filmschaffenden und Obfrau des Drehbuchverbandes. Als Expertin des Dachverbandes ist sie auch im Aufsichtsrat des Österreichischen Filminstituts vertreten, allerdings ohne Stimmrecht (s. Gabriele Kranzelbinder)
Die Erfolgsgeschichten der Panel-Teilnehmerinnen basieren darauf, dass sie gelegentlich wild und wandlungsfähig die Spur wechselten; dass sie beharrlich ein unbekanntes Berufsfeld eroberten oder sich eigenwillig selbst ein neues Arbeitsgebiet schufen.
Das Fazit des Abends: Alle Referentinnen waren sich einig, dass es für den eigenen Erfolg unabdingbar ist, eigenwillig zu sein, sich neue Reviere zu erobern, Spuren zu hinterlassen und im besten Sinne dickköpfig, ungehorsam, aufmüpfig, beharrlich, mitunter störrisch, widerspenstig, eisern, unnachgiebig und auffällig zu sein!
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