„Ich gab mein Herzblut 24 Stunden pro Tag!“



Sieben Jahre lang dauerten die Vorbereitungsarbeiten für das Filmprojekt Hana, dul, sed ... Anhand des unaufhaltsamen Aufstiegs eines nordkoreanischen Frauenfußball-Teams und dessen tiefen Fall werden weibliche Rollenbilder und totalitäre Erziehungsmuster hinterfragt. Brigitte Weich und Karin Macher im Gespräch (mit Karin Schiefer*) über ihren Dokumentarfilm, der mittlerweile mit dem großen DIAGONALE-Filmpreis ausgezeichnet worden ist. 
 


Karin Schiefer: Welche Hindernisse mussten Sie beim Drehen in Nordkorea überwinden?

Brigitte Weich: Fremde können sich in Nordkorea nicht frei bewegen: Taxis gibt es nicht, öffentliche Verkehrsmittel darf man nicht benützen, kaum jemand versteht Englisch und der Besitz von Geld in der Landeswährung ist verboten. Wenn man dort drehen will, braucht man neben dem Einreisevisum noch eine zusätzliche Bewilligung, deren Erhalt vom Thema des Films abhängig ist.
Rückblickend war aber nicht das Drehen in Nordkorea die größte Hürde, sondern die Finanzierung des Projekts in Österreich und die Erlangung der Rechte für das Archivmaterial.

Karin Macher:
Natürlich war das Drehen auch nicht ganz einfach. In den Verhandlungen mit den Funktionären über die Drehgenehmigungen mussten wir immer detaillierte Drehpläne und die Interviewfragen vorlegen. Es waren lange Stunden in eiskalten Marmorräumen mit künstlichem Blumenschmuck und unzähligen Übersetzern. Ich habe als „Assistentin“ mitgeschrieben und Brigitte hat jede der gestellten Fragen beantwortet. Es war wie ein Pingpong-Spiel. Jede einzelne Szene wurde durchdiskutiert. Alles war genau geplant und ist vor Ort oft wieder komplett verworfen worden. 

Anpfiff für das Filmprojekt

Wie kamen Sie zu dem Thema Frauenfußball?

Brigitte Weich: Auslöser war mit Sicherheit mein Besuch beim Filmfestival von Pjöngjang 2002. Damals liefen dort zwei Fußballfilme: ein österreichischer, Frankreich wir kommen!, von Michael Glawogger; der andere war The Game of Their Lives, ein britischer Film über das nordkoreanische Fußball-Wunderteam aus dem Jahr 1966, das allen Fußball-Fans ein Begriff ist. Das Thema Fußball interessierte mich bis dahin nicht, bis jemand erwähnte, dass der koreanische Frauenfußball so gut sei. Zwei Wochen lang versuchte ich daraufhin vergeblich, ein Frauenfußballspiel zu sehen. Es ist in Nordkorea unmöglich, spontan ein Fußballstadion zu besuchen. Fünf Jahre sollten vergehen, bis wir 2007 erstmals im Kim il Sung-Stadion standen.

Wie kam es zum „Anpfiff“ für Ihr Filmprojekt?

Brigitte Weich: Es gibt in Nordkorea die „Korfilm“, eine staatliche Filmagentur, die den britischen Film gemacht hat und quasi darauf spezialisiert ist, ausländischen Teams beim Drehen zu helfen. Dort arbeitet Ryom Mi Hwa, eine äußerst dynamische und engagierte Frau, die viele Dinge über die starren bürokratischen Strukturen hinweg ermöglicht. Sie war bei allen Verhandlungen dabei.
Ich befürchtete, dass uns das Regime drängen würde, einen Propagandafilm über ihr tolles Frauenfußballteam zu drehen. Es lief aber so, dass wir ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr die aktiven Spielerinnen drehen durften, sondern nur noch ehemalige Spielerinnen in privaten Situationen.
Eine meiner Guides verriet mir einmal ganz verschwörerisch: „Unser Führer weiß von deinem Projekt“. Selbst, wenn es gestimmt hatte, waren uns dadurch noch lange nicht alle Wege geebnet. Sobald sich eine Person querlegte, kamen wir nicht weiter. Unsere Rettung war Ryom Mi Hwa, die uns auf ihre stille, sture und subversive Art unterstützt hat, um unsere Vorstellungen umzusetzen.

Wie lernten Sie die nordkoreanischen Spielerinnen kennen?

Als im April 2003 die asiatischen Meisterschaften in Bangkok bevorstanden, schien mir das eine gute Gelegenheit, um mehr über Frauenfußball zu erfahren. Ich flog hin und hoffte, dort nordkoreanischen Nationalspielerinnen auf neutralem Boden kennen zu lernen. Sie entpuppten sich als coole, junge Frauen. Als sie beim Turnier in Bangkok siegten, feierten wir gemeinsam mit ihnen die Qualifikation für die WM.
Neben Nordkorea hat sich mir ein zweites, bis dahin völlig unbekanntes Universum offenbart: der Frauenfußball.

Worin bestand denn das Faszinosum?

In Pjöngjang hatte ich ständig das Gefühl, vor Attrappen zu stehen und nicht an das wirkliche Leben der Menschen heranzukommen. Die Fußballerinnen hingegen waren „echte Menschen aus Fleisch und Blut“, die zufällig aus diesem unzugänglichen Land kommen. Wir haben sie zwei Jahre mit der Kamera auf internationalen Turnierreisen begleitet, bis es zum ersten Dreh in Pjöngjang kam. Ich war neugierig darauf, wie sie sich die weitgereisten Sportlerinnen in dem totalitären System ihrer Heimat verhalten würden.
Dies führte zu einer möglichen Themenstellung des Films: Wie funktioniert der kulturelle und politische Alltag in einem Umfeld, das für mich so kulissenartig und fremd wirkt? 

Ständig am Ball bleiben

Ursprünglich hatten Sie nicht vor, selbst zu produzieren. Ab wann wussten Sie, dass Sie den Film selber machen wollen? 


Brigitte Weich: Ich wollte das Thema als Geschichtenerzählerin nicht mehr hergeben – es waren „meine Mädchen“, meine Geschichte, mein Interesse. Ab einem gewissen Punkt muss man etwas, das einem sehr am Herzen liegt, machen. Den administrativen Aufgaben des Managements und der Finanzierung fühlte ich mich gewachsen. Das eigentlich Beängstigende für mich war die kreative Arbeit, die ich in der Größenordnung noch nie zuvor gemacht hatte. Die österreichische Produktionsfirma Lotus-Film hat mich als Mentor unterstützt und mir eine Kamera auf die erste Reise mitgegeben. Ein erster Impuls und ein wichtiges Backing, für die Jahre, die dann gefolgt sind. Ich gab mein Herzblut für 24 Stunden an sieben Tagen die Woche und das sieben Jahre lang – ein echt starkes Investment! Angetrieben hat mich die Faszination am Inhalt – die Frage des Aufgebens hat sich für mich nie gestellt.

Wie hat das Team zusammen gefunden?

Karin Macher:  Ich stieß zu diesem Projekt erst später dazu. Die ersten Reisen absolvierte Brigitte aufgrund der finanziellen Gegebenheiten nur mit einer Kamera- und Tonfrau. Positiv an dieser Situation war, dass durch die personelle Unterbesetzung ein intensives persönliches Verhältnis zu den Spielerinnen aufgebaut werden konnte.

Brigitte Weich: Im Jahr 2003 bin ich Karin Macher begegnet, die damals selbst an einem Doku-Projekt gearbeitet hat.
Da ich lieber mit Frauen zusammenarbeite, habe ich mir eine Kamerafrau gesucht, was nicht einfach war. Judith Benedikt habe ich erst in Bangkok kennengelernt. Wir trafen uns erstmalig in der Lobby des Youth-Hostels. Sie hat sich auf das Abenteuer eingelassen, mit mir, die ich keine Dreherfahrung besaß, bei meinem Projekt, das nicht finanziert war, mitzuarbeiten. In dieser zusammen gewürfelten Grundaufstellung mit einem nordkoreanischen Team und zwei Österreicherinnen, die einander zuvor noch nie gesehen hatten, ging es los. Wir kamen total begeistert nach Wien zurück und ab da war's wohl für uns beide klar: Dieses Projekt geben wir nicht mehr her. Zwei Jahre lang hieß es ständig am Ball bleiben, Finanzierung und Drehgenehmigungen aufstellen und gleichzeitig die persönliche Beziehung mit den Nordkoreanerinnen aufrechterhalten.

Karin Macher:
Wir konnten die Spielerinnen nicht kontaktieren. Zurückgekehrt in ihr Heimatland Nordkorea waren sie unerreichbar. Ein Follow-up ist unmöglich, außer man fährt selber hin.

Brigitte Weich:
Selbst, als wir hinfuhren, war es schwierig mit den Fußballerinnen zu sprechen. NordkoreanerInnen brauchen eine behördliche Bewilligung, um mit AusländerInnen reden zu dürfen. Außerdem sprechen die Athletinnen nur Koreanisch, was unsere Unterhaltung natürlich erschwerte.

Das Match Geschlechterkampf gegen Klassenkampf

Am Anfang des Films stehen zwei Zitate: das eine stammt von Kim Il Sung: Great ideologies create great times. Das zweite ist der berühmte Ausspruch von Simone de Beauvoir: Man wird nicht als Frau geboren, man wird es. Ist dieser Film ein Versuch, der einerseits ein System beleuchtet, das die Menschen in seinen Dienst stellt und andererseits im System der Gleichheit vor Augen führt, dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern dennoch ein Thema ist?

Brigitte Weich: Das ist richtig analysiert! Ich interessiere mich als Frau primär für Frauengeschichten. Da waren Fragen wie: In welchem System besitzen welche Menschen welchen Wert? Wodurch entsteht so etwas? Wer sind die Sklaven des Systems, wer die Privilegierten? Es gab und gibt sexistische, rassistische und klassenmäßige Bruchlinien und Querverläufe im Laufe der Menschheitsgeschichte.
Der Kommunismus etwa ist ein System, das die Beseitigung traditioneller Unterprivilegierungen postuliert, aber die Frauen sind darin trotzdem „ungleicher“. Das ist ein Faktum! Der Gleichheitsanspruch ist vom realen Kommunismus nie realisiert worden, trotzdem hat diese Idee existiert. In Nordkorea ist noch ein letzter Rest davon vorhanden, auch wenn der Kommunismus weltweit ausgespielt hat. Im Gegensatz zum Klassenkampf bewegt sich der Geschlechterkampf in einem ständigen, grenzenlosen Spannungsfeld. Der Film bot die Gelegenheit, das in einem kleinen Nukleus anzuschauen, weil die Fußballerinnen extrem privilegierte Frauen sind.
Ginge man quer durch alle Kulturen, Religionen, Gesellschaftssysteme oder Klassen, gab und gibt es verschiedene Formen der Privilegiertheit oder Unterprivilegiertheit, die Frauen sind meist auf der Seite der Unterprivilegiertheit zu finden. Mit unseren Fußballfrauen passiert das Gegenteil. Der Despot Kim Jong-il hatte erkannt, dass er in der Nische „Frauenfußball“ durch hervorragende Leistungen „Staat machen“ kann.

Karin Macher:
Die Spielerinnen, die wir im Film zeigen, sind in Nordkorea Superstars, die auf der Straße erkannt und angesprochen werden. Riesige Plakate steigern ihren Bekanntheitsgrad und sorgen dafür, dass die Stadien ausverkauft sind. Die deutschen Fußballerinnen, die Weltmeisterinnen sind, machen Werbung für Damenbinden.

Brigitte Weich: Im Film wird klar, dass in Nordkorea ein sehr konservatives Gesellschaftsbild herrscht, das mich an die fünfziger Jahre hierzulande erinnert: Heiraten ist ein Muss, es gibt keinen vor- oder außerehelichen Sex, Ehe heißt Kinderkriegen, Homosexualität existiert nicht, es gibt keine(n) unverheirateten Nordkoreaner(in), keine Scheidung, keine Patchwork-Familien. „Die Frau muss eine Blume sein, die Frau muss hübsch sein, die Frau muss lange Haare haben, die Frau darf keine Hosen tragen“, lautet das klischeehafte nordkoreanische Frauenideal. Im Gegensatz dazu tragen die Fußballerinnen Kurzhaarschnitte und auf dem Rasen wird gespuckt und getreten – kurz: Das Blumengleichnis ist aufgehoben.
Wahrscheinlich lässt sich das nur in einem solchen System so radikal durchziehen. Was der Führer befiehlt, wird gemacht. Ein autoritär implementiertes Förderungssystem kann plötzlich kulturelle Regeln außer Kraft setzen, die wiederum reale Auswirkungen auf diese Kultur nach sich ziehen. 

Abseits denken

Totalitären Systemen wirft man vor, dass sie den Sport instrumentalisieren, um die Überlegenheit des Systems nach außen sichtbar zu machen. Welche gesellschaftspolitischen Auswirkungen erfuhren die nordkoreanischen Spielerinnen?

Brigitte Weich: Anfänglich interessierte sich niemand für Frauenfußball. Die Leute gingen ins Stadion, um dem Führer zu gefallen. Sie wollten dort „gesehen werden“. Als sich jedoch die Qualität des Spiels verbesserte, stellten sich erste Erfolge ein, die wiederum den Nationalstolz nährten. Nun fand das Publikum Gefallen an den Matches. Eine künstliche Inszenierung hat echte emotionale, menschliche Konsequenzen nach sich gezogen. Die Teamspielerinnen fanden Spaß an diesem Sport, manche von ihnen haben den Fußball zu ihrem Lebenszweck gemacht. Sie waren in der nordkoreanischen Gesellschaft die Ersten, die eine systematische Ausbildung genossen haben. Sie waren richtige Pionierinnen, obwohl sich ihre Eltern nicht darüber freuten, dass die Tochter Fußballerin werden will. Sie haben sich ihre Sportkarrieren hart erkämpfen müssen.

Karin Macher:
Ich gehöre zu jener Generation, wo der Bruder Fußball gespielt hat und ich nicht durfte, obwohl ich es mir sehr lustig vorgestellt hätte. Erste Frauenmannschaften gab es erst, als ich am Gymnasium war. Ich empfand auch ein wenig Neid auf die Burschen, wenn ich als Mädchen in Gymnastikschuhen anmutige Drehungen im Turnsaal üben musste. Fußball ist ja ein Sport, der sehr viel Energie freisetzt und der dich körperlich stark und dynamisch werden lässt.

Brigitte Weich:
In Nordkorea wurde der Frauenfußball plötzlich zur Chefsache erklärt. Die Spielerinnen bekamen die besten Trainer und erhielten erstklassige Trainingsbedingungen. Ihr Wunsch, Fußball zu spielen, war nicht mehr lächerlich, sondern sie wurden ernsthaft unterstützt. Die Kunstfertigkeit, die Liebe, die Hingabe und die Selbstverständlichkeit, mit der sie diesen Sport ausübten, waren für mich Gründe, zu fragen: Wie werden wir zu dem, was wir sind? Warum spielen die Frauen bei uns nicht Fußball? Ich hatte ursprünglich keinen Bezug zu Fußball. Männerfußball schau ich mir überhaupt nicht an, aber diesen Frauen zuzuschauen, ist ein wahres Vergnügen.

Karin Macher:
Mich hat es auch sehr fasziniert, den Frauen bei etwas zuzuschauen, das ihnen Spaß macht, wo sie in einem Team agieren, wo sie Expertinnen sind und eine starke Position haben und zu sehen, welche Auswirkungen das auf ihr Leben hat. Der Film zeigt auch, wie sie nach ihrer aktiven Sportlerinnen-Karriere mit sich ringen, wieder dem traditionellen Frauenbild des „Blume-Seins“ zu entsprechen.
 
Dribbeln zwischen Top-Athletin und reglementiertem Frauenbild

Der Film verfolgt zwei Aspekte: 1.) die aktive Karriere, 2.) die Rückkehr ins "normale Leben". Hat sich diese zweite Thematik im Zuge der Dreharbeiten ergeben, da die Fußballerinnen aufgrund des Misserfolgs bei der Olympiaqualifikation zurücktreten mussten?

Brigitte Weich: Zwei Fragen, die mich ständig beschäftigten, lauteten: Was ist in einem Dokumentarfilm planbar? Für die Drehs in Nordkorea haben wir exakte Drehpläne entworfen, die zum Großteil auf reiner Spekulation basierten: Wir kannten weder die Schauplätze, noch die familiären Konstellationen.
Wo überrollt mich die Wirklichkeit? Als das Team die Ausscheidung für die Olympischen Spiele in Athen verpatzt hatte, wurden sie unverzüglich gefeuert. Damit hat niemand gerechnet – eine Katastrophe für uns und für die Sportlerinnen. „Verlieren“ bedeutete für sie, dass sie die Erwartungen ihres Volkes und ihres Führers enttäuscht haben. Wir befürchteten, unsere Arbeit abbrechen zu müssen, weil die Sportlerinnen nicht als „Versagerinnen“ abgebildet sein wollen. Das war aber nicht der Fall.
Mit der Zeit wurde uns bewusst, dass das „Aus“ ihrer Athletinnen-Karrieren für unser Filmprojekt eine glückliche Fügung war; nun konnten wir uns auch der Frage widmen, wie sie wieder in die „normale“ Gesellschaft zurückfinden.

Eine wichtige Rolle spielt auch der Aspekt der Erziehung: Neben dem Training vermittelt auch der Musikunterricht eine Idee vom totalitären Erziehungssystem. Die Kindergarten-Szenen dokumentieren die Indoktrinierung seit frühester Kindheit; dann sieht man aber auch die sanften Momente der Wärme und Zärtlichkeit im Schlafraum. Wie habt ihr diesen Erziehungsaspekt im Zuge der Dreharbeiten wahrgenommen?

Brigitte Weich:
Sehr ambivalent! Vielleicht war die Ambivalenz schon im Thema Fußball angelegt. Die ersten Reaktionen auf mein Projekt lauteten einhellig: „Exotischer geht´s wohl nicht mehr!“
Ich fand in diesem scheinbar „Exotischen“ sehr rasch vertraute Themen wie: Durch welche Strategien überwinden Frauen gesellschaftliche Rollenmuster und Grenzen? Aus dieser vertrauten Perspektive heraus wollte ich die nordkoreanische Gesellschaft betrachten, um mir nicht ständig vom allzu offensichtlichen „bösen Führerstaat“ den präzisen Blick verstellen zu lassen. Ich traf auf eine Gesellschaft, die mich ständig hin- und her pendeln ließ, zwischen dem blanken Entsetzen wegen der totalitären Diktatur und der Wahrnehmung tiefer Gefühle, wie diese Zärtlichkeit in der genannten Kindergarten-Szene.
Im Kindergarten lösen sich zwei Dinge schön auf: 1.) Kinder sind doch anarchisch und wild. Wann und wie werden sie diesem absoluten Gehorsam unterworfen? 2.) BürgerIn in Nordkorea zu sein, wäre für uns wahrscheinlich eine schreckliche Vorstellung, denn die Menschen dort – auch die Privilegierten – besitzen nichts von dem, was bei uns ganz selbstverständlich zum mittelmäßigen Lebensstandard gehört.
Wenn man sich aber auf das Leben der Menschen einlässt, wird klar, dass das einfach deren Leben ist – das einzige, das sie haben. Das versuchen sie unter den vorhandenen Bedingungen so gut und erfüllt wie möglich zu leben. Sicher wird es Kinder gegeben haben, die in der großen Hungersnot den Kindergarten nicht überlebt haben. Es gibt zahllose Aspekte, die in meinem Film nicht behandelt sind. Mein Film zeigt einen kleinen Ausschnitt. 

Fußball oder Führerstaat?

Visuell haben drei Themen eine Rolle gespielt: 1.) der Sport und die Bewegung, zum Teil live im Match, 2.) die Architektur der Macht und 3.) der Kitsch.

Brigitte Weich:
Das sind tatsächlich drei faszinierende Bilderwelten, die einen großen Schauwert besitzen. Die Kamerafrau Judith Benedikt hat die Bilder sehr autark gemacht, weil ich weder ausgeprägten optischen Gestaltungswillen noch Regieerfahrung besaß. Judith war deswegen sehr frei in ihrer Arbeit, aber es war sicher auch sehr schwierig, weitgehend alleine Bilder finden zu müssen und auch die alleinige Verantwortung dafür zu tragen. Sie hat das sehr toll gemacht!

Karin Macher:
Die Architektur der Macht, die Regeln des Systems, geben den Rahmen vor, in dem sich die Menschenschicksale bewegen. Der Kitsch ist das, was sie sich in allen Winkeln und Ecken aufbauen, so wie sich auch die Fußballerinnen im Sport ihre Freiheit herausholen. Diese Körperlichkeit hat das Gefühl vermittelt, dass alles, was da an Politik und eingeschränktem Leben vorhanden ist, in dem Moment, wo sie aufs Fußballfeld strömen, vergessen ist. Das war wie ein kitschiger Blumenstrauß in diesen immensen Straßenfluchten.

Brigitte Weich:
Mit diesen drei starken visuellen Elementen waren wir dann auch am Schneidetisch konfrontiert; weniger vielleicht mit dem Kitsch, aber mit der Frage, ob das Thema nun der Führerstaat oder der Fußball ist. Es ist beides: Es geht um Fußball und darüber hinaus, was durch diesen Massensport transportiert wird. Zunächst hat mich Nordkorea fasziniert, dann kam das Faszinosum Fußball dazu. Ich wusste selber nicht, was mich mehr interessierte. Beides war mir bis dahin totales Fremdland gewesen. Bei beiden Themen wollte ich auf keinen Fall am Kuriosen, Exotischen hängen bleiben, sondern ich wollte durch die Fremdheit hindurch, wollte es knacken, zu etwas ganz Vertrautem kommen – in ein echtes Gefühl, ein echtes Verstehen. Lange dachte ich, ich müsste mich entscheiden. Das hat dann zu der Zweiteilung geführt, die dem Film nun seine Struktur gibt und andererseits beeinflussen beide Aspekte einander ständig. Der Kitsch zieht sich durch, und verbindet und schlägt sich permanent mit den beiden anderen Elementen.

Neben den gefilmten Bildern gibt es auch Archivmaterial. Warum?

Brigitte Weich:
Das war eine rein pragmatische Entscheidung, weil wir nicht während der gesamten WM drehen durften – die Sportrechte waren viel zu teuer. Die FIFA ist wahrscheinlich eine der größten Geldmaschinen im Profisport. Bei unserem ersten Dreh, den Asienmeisterschaften, war man sehr entgegenkommend und wir daher verwöhnt. Die WM danach war genau das Gegenteil. Wirklich ausverhandelt waren die Rechte Ende 2008, gedreht haben wir 2003. Es war damals klar, dass wir unmöglich die Lizenzen für eine Drehbewilligung erwerben konnten. Daher waren wir bezüglich der WM komplett auf das gekaufte Material angewiesen.
Dazu kommt, dass es unglaublich schwierig ist, ein Fußballspiel mit nur einer kleinen Kamera zu drehen. Fußball lebt nicht von Einzelszenen, sondern gewinnt seine Spannung aus taktischen Spielereien, Raumaufteilung, dem Wechsel von Angriff und Abwehr und vor allem aus der festgelegten Spieldauer, die einem Countdown im Spielfilm entspricht. TV-Übertragungen setzen durch wechselnde Kamerapositionen und schnellen Schnitten selbst gezielt die Strategien des Erzählkinos ein, um Gefühle zu wecken und die Dramatik des realen Spiels zu steigern.
Dies ist mit einer Kamera unmöglich. Deshalb haben wir das eigene und das gekaufte Material gemischt. Nur das Spiel gegen Japan konnten wir komplett aus unserem Material montieren. Es war das letzte Spiel, das wir gedreht haben, das letzte Spiel, das „unsere“ Mädchen gespielt haben; das hat eine eigene Qualität, die ich total gern mag.
Wir fürchteten zunächst, dass der Materialmix störend wirken könnte, weil wir manches nur in wirklich übler Qualität auftreiben konnten. Es entsteht aber ein interessanter optischer Gegensatz zu den brillanten Bildern aus dem Zivilleben in Pjöngjang: das Wilde und Trashige der Sportübertragung spiegelt sich im Material wider und fügt sich in einen inhaltlichen Zusammenhang. Es gefällt mir, dass die Ästhetik gebrochen ist. So wie im Sport, wo geschwitzt und gespuckt und gefoult wird, da ist auch das Material irgendwie wilder. 

Zurück ins „normale Leben“: Eigentor oder neues Spiel?

Im zweiten Teil wird Freundschaft ein starkes Thema. Es gibt eine Schlusseinstellung, wo die ehemaligen Profi-Fußballerinnen im traditionellen Kleid im leeren Stadion auf dem Fußballfeld stehen. Wie läßt sich dieses Bild erklären?

Brigitte Weich: Das Bild ist für mich einmal mehr der Ausdruck der in Nordkorea allgegenwärtigen Koexistenz von Gegensätzen. Entweder tragen die Frauen ihre eintönigen, meist grau-grünen Sachen oder sie haben die Tsogoris, diese schmetterlingsbunte traditionelle Tracht, an, die – je nach Farbe – zu bestimmten Anlässen oder Lebensphasen getragen wird.
Nach der ersten Recherchephase in Bangkok konnte ich mir „meine“ Fußballerinnen weder im Alltag von Pjöngjang vorstellen, noch in einem Tsogori. Es überraschte mich, dass diese jungen durchtrainierten Frauen, die ich vom Bolzen am Fußballfeld kannte, in jedem zweiten Satz von ihrem „geliebten Führer“ sprachen. Unvorstellbar war mir, dass diese selbstbewussten Athletinnen ihre Sportdressen wieder gegen die Landestracht eintauschen würden.
Wie passen diese Gegensätze zusammen? Es ergab sich für mich ein vielschichtiges Bild der Widersprüche. Auf der einen Seite trugen sie keine Stoppelschuhe und Shorts mehr. Auf der anderen Seite bin ich heute noch gerührt, wenn ich daran denke, wie sie sich völlig automatisch zu einem klassischen Fußballfoto zusammengestellt haben. Diese selbstverständliche Geste aus der Fußballkarriere ist ebenso eine Facette ihres Lebens wie die traditionellen Tsogoris, die sie wie „Blumen aussehen lassen“. Das Bild hat etwas Wehmütiges, aber auch Optimistisches. Sie sind zwar aus dem aktiven Fußball ausgeschieden – Tore schießen nun andere Frauen für den Diktator – aber sie haben sich in ihrem Leben „danach“ auch wieder einen Platz erkämpft.
 

* Karin Schiefer führte das Interview mit Brigitte Weich und Karin Macher im Oktober 2009 für die AFC-News (© Austrian Film Commission). Wir danken Karin Schiefer für die freundliche Erlaubnis, das Gespräch leicht gekürzt und für den FRAUEN ARBEIT FILM Kontext modifiziert, wiedergeben zu dürfen.
Textmodifizierung und Kürzung: Sabine Perthold

 

 

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