GLAMOROUS JOURNEY ODER
MARILYN MONROE STIRBT NICHT MEHR


Überlegungen zu „Klischee ade!“ von Karin Rick

 

 

Astrid Becksteiner und Roberta Schaller-Steidl porträtierten 1996 für die Frauendokumentation Graz etliche Künstlerinnen. Im Rahmen dieser Reihe entstand auch der Dokumentarfilm „Glamorous Journey“ über meine schriftstellerische Arbeit.
Auf die Frage, wie ich mich nonverbal positionieren möchte, habe ich mir einige Rollenbilder ausgedacht und durch Kostümierung überhöht nachgestellt. Sie stehen auch heute noch für meinen Wunsch, alltagsfremde, zumeist schimmernde, schillernde Schichten überzuziehen, um mit deren Hilfe in ein fantastisches Universum eintauchen zu können – sozusagen in die „mythische Aura des Angesehen-Werdens“.1

Gerade weil bestimmte normative Konzepte den weiblichen Körper als eindeutig kodieren, ist mir bewusst, dass jede Darstellung / Selbstdarstellung eine Gratwanderung zwischen Subjekt- und Objektposition, zwischen Selbstspiegelung und Fremdspiegelung oder ein Schwebezustand zwischen beiden ist.
In einem Schwebezustand zwischen tradierten Weiblichkeitsrepräsentationen befinden sich auch die lesbischen Hauptfiguren in meinen Büchern, die eine Verschiebung von Rollenklischees in sich tragen.
Ich habe mir überlegt, was den gemeinsamen Nenner meiner Hauptfiguren ausmacht und bin auf verschiedene Varianten der Garçonne gestoßen, wie sie – zeitgenössisch geprägt – tatsächlich existieren könnten.


Garçonne als Ausbruchsphantasie

Die Garçonne bündelt Ausbruchsphantasien; sie belegt in den Zwanzigern eine große Bandbreite von imaginierten oder realen, unabhängigen und deshalb als dominant gesehenen Frauengestalten – angefangen von der Rebellin, der grausamen Frau, der Duellantin, der femme d’attaque,2 sowie Betrügerinnen aller Art. Meist wird sie bisexuell dargestellt, oft auch als gegenkulturelles Symbol für lesbische Ausdrucksformen.
Die Sexualwissenschaft der 1920er Jahre gesteht ihr sogar ein drittes Geschlecht zu. Die Garçonne prägt auch den literarischen Diskurs der Epoche, was sich anhand des Lebens und Werks des österreichischen Schriftstellers Fritz von Herzmanovsky-Orlando gut dokumentieren lässt: Er verliebte sich in eine Peitschen schwingende, auch Frauen liebende Libertine, die er heiratete, und schrieb zudem drei Romane, in denen der Held durch eine unbekannte, starke, idealisierte, männliche Frau zu Tode kommt. Er wird, wie der Autor selbst sagt, „seiner Vernichtung im Magischen“ zugeführt.


Backlash killt Garçonne

In den 50ern, 60ern des letzten Jahrhunderts kam die Garçonne filmisch-symbolisch oder real zu Tode oder wurde durch gezähmte Weiblichkeit ersetzt. Von dieser Zähmung haben wir uns bis heute nicht erholt, meine ich.
Als Femme fatale hat sich die Garçonne ziemlich lange gehalten, ist aber auf Grund eines, auch ökonomisch bedingten, Backlashs heute vollends in den Hintergrund geraten. Wir haben die Garçonne als Aufbruchsfigur aus dem Blickfeld verloren.
Eine der prominenten zeitgenössischen Mediengestalten, die immer mit Versatzstücken der Garçonne gespielt hat und damit zumindest die 1980er Jahre revolutionierte, ist Popstar Madonna. Heute wird sie jedoch vom „bastardisierten“3 Zitat ihrer selbst, von der, wie die New York Times schreibt „post-sexuellen“4 Lady Gaga abgelöst.


Rebellische Angebote in meinen Büchern

In meinen Büchern sind einige Varianten der Garçonne als Rebellinnen diverser Art zu finden:
Felicitas aus Cote d’Azur ist die elegante, auf dem gesellschaftlichen Parkett versierte Intellektuelle in ständig changierenden Hosenrollen, die sich als Geliebte täglich neu und anders entwirft („Sie ist manchmal die leidenschaftliche Primadonna, dann das kleine Streichelwesen“5 ), doch mit ihrer Sprache vernichten kann.
Gini Sedlak aus Furien in Ferien ist die Streunerin, die Vagabundin, die Polit-Aktivistin, die ständig im Clinch mit staatlichen Ordnungsmächten liegt und von den gesellschaftlichen Rändern aus kraftvoll agiert.
Kaye, die Lederfrau, aus Sex ist die Antwort, baut als Künstlerin überdimensionale Vulvas mit unzähligen Öffnungen aus Kautschuk und mimt mal den Strichjungen, mal die vulgäre Domina.
In meinem letzten Buch, Chaosgirl, hebt Anita, die burschikose Mutter, „die Zweiteilung des schönen Geschlechtes in das rein Matronale (also Mütterliche) und das bübisch-virginale des maskulinen-puerilen Zweiges“6 auf.

Ein Faktum ist: Die „femme fatale“ geht heute nicht mehr zugrunde, Marilyn Monroe kann nicht mehr sterben, die Sexsymbole überleben und werden mit uns alt. Das eröffnet neue Perspektiven, wenn Schönheit oder Vergänglichkeit mit Weiblichkeit in einem Atemzug genannt werden: Schönheit bislang als nicht weiter definierte Leerstelle, Vergänglichkeit bis dato quasi inexistent.


„Trickster“ als facettenreiche Option

Ich plädiere für die Wiederbelebung oder -besetzung der Figur des weiblichen „Tricksters“. Ins Unreine gesprochen wäre der „Trickster“ als ambivalente Erscheinung eine gute Option für ein weibliches Verhaltensrepertoire. Er verkörpert das Prinzip der Vereinigung von Gegensätzen. Er ist weder gut noch böse, sondern listenreich.

Madonna wird bisweilen als Trickster bezeichnet, als „Savvy pop trickster, using outrageous imagery as distraction while smuggling ideas about religion and social politics into her music“. 7

Anita in meinem Roman Chaosgirl agiert wie das Sandkorn im Getriebe des staatlichen Kontrollapparates, sie ist „das kleine anarchische Krümelchen im Megazentrum des Sammelimperiums8 “ und treibt dort listig ihr subversives Unwesen.

Es geht also, um mit einem Zitat Herzmanovsky-Orlandos abzuschließen, darum, dass „diese Amazonenwirtschaft, diese verdammte, die man doch seit Jahrhunderten tot geglaubt“9 , sich offensiver gebärdet und wieder sichtbarer wird.


 Anmerkungen:
1) Andrea Seier spricht in „Performative Prozesse in Tantantinos Jackie Brown“ in: Screenwise, Film, Fernsehen, Feminismus, Hg.innen: Monika Bernold/Andrea B.Braidt/Claudia Preschl, Verlag Schüren, Marburg 2004 von Pam Grier, die in der Eingangsszene das Rollband und damit die „mystische Aura des Angesehenwerdens“ verlässt.
2) Siehe mehr dazu: Hanna Hacker: „Es ist eben ein Malheur wie jedes andere“, in: Rote Küsse, ein Filmschaubuch, Hg.in Sabine Perthold, Verlag Claudia Gehrke, Tübingen 1991.
3) Caramanica, Jo: “The Age of Gaga Rages Absurdly On”, in: The New York Times, August 2, 2010.
4) Ebda.
5) Rick, Karin: „Cote d’azur – zwei Frauen, eine Liebesgeschichte“. Wiener Frauenverlag Wien 1993, S. 15
6) Herzmanovsky-Orlando, Fritz von: „Das Maskenspiel der Genien“ (= Österreichische Trilogie III). SW., Bd III, Hg.in Susanne Goldberg, Salzburg und Wien, Residenz 1989. Zwei Besucher eines Festes beklagen sich über die Zweiteilung des schönen Geschlechtes. S.69.
Im Maskenspiel der Genien läuft der Held der schönen Göttin Cyparis solange nach, bis er in einem griechischen Hain von den Hunden der Göttin Diana zu Tode gehetzt wird. In dem Buch wird viel verwandelt und gewandelt.
7) Caramanica, Jon: “The Age of Gaga Rages Absurdly On”.
8) Rick, Karin: „Chaosgirl“, Roman, Verlag Claudia Gehrke, Tübingen 2009.
9) Herzmanovsky-Orlando, Fritz von: „Das Maskenspiel der Genien“, S.54.


 

 

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